Songformen

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In der Popmusik existieren drei hauptsächliche Songformen, die heute am Häufigsten angewandt werden: Vers-Chorus, Vers-Prechorus-Chorus und Vers-Titel. Um unser Bild zu komplettieren, werden wir bei musikwissen.com einen Blick auf die Songformen im Lichte der Geschichte werfen und uns anschauen, welche Songformen früher populär waren. Dies kann zum Beispiel hilfreich sein, wenn wir Songs in anderen Stilen schreiben wollen oder einfach mal Neues wagen und aus den bestehenden Konventionen ausbrechen wollen.

Denk daran, dass die Beatles unter anderem deshalb so erfolgreich waren, weil sie ständig Neues ausprobiert haben. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Songformen ständig weiterentwickelt haben. Die Songform „Vers-PreChorus-Chorus“, die heute so beliebt ist, wird erst seit etwa Mitte der 1980er verwendet. Es kann also durchaus sein, dass in 10 oder 20 Jahren völlig andere Songformen existieren.



Der ursprüngliche Vers

Was wir heute unter dem Begriff „Verse“ oder „Vers“ verstehen, ist der Teil des Songs, der sich inhaltlich verändert, melodisch sehr ähnlich zu den jeweils anderen Versen ist und einen Kontrast zum Chorus bildet. Im Vers wird die Geschichte erzählt, die Situation beschrieben und so weiter. Aber das war nicht immer so.

Zunächst müssen wir uns auf einen kleinen Exkurs begeben. Sogenannte Standards oder Jazz-Standards, sind Songs, die es in die Sparte der Evergreens oder Klassiker geschafft haben. Wer jetzt an Last Christmas von Wham! denkt, irrt. Denn die Jazz-Standards sind eine ältere Kollektion, die sich nach und nach herausgebildet hat. Sie gehören zum festen Repertoire von Instrumentalmusikern und stellen eine Art „Schnittmenge“ an Songs dar, deren Beherrschung von Instrumentalmusikern erwartet wird. Insbesondere bei Jam-Sessions werden oft ausschließlich Jazzstandards gespielt.

Jazz-Standards und Broadwaystücke sind perfekte Anschauungsobjekte für’s Songwriting, da sie es über die Jahrzehnte geschafft haben, zu überleben. Wer könnte zum Beispiel nicht die Melodie von (Somewhere) „Over The Rainbow“ oder „I Got Rhythm“ mitsummen?

Anders als heute, ist jedoch die Songstruktur. Denn all jene Songs beginnen zwar mit einem Vers, der ist aber grundlegend anders, als der Versbegriff, den wir heute anwenden. Damals war der Vers eher eine Art Vorbereitung auf den eigentlichen Song. Er bereitete die lyrische Bühne vor und vermittelte die richtige Stimmung für den Song.

Die bekannten Melodien von (Somewhere) „Over The Rainbow“ oder „I Got Rhythm“ sind also eigentlich nur die Chorusse des jeweiligen Stücks. Auch wenn diese Chorusse ziemlich lang sind.

Der Vers wurde daher damals nicht immer mitgesungen. Es war eher so, dass er zu Beginn der Veröffentlichung eines Song noch gesungen und später einfach weggelassen wurde.

Die Songform der damaligen Songs ist also definitiv anders, als die heute erfolgreichen Lieder. Gleichzeitig hat sich der Vers von einer absoluten Randfigur im Sinne eines Intros zu einem wichtigen Bestandteil entwickelt.

Hier also (Somewhere) „Over The Rainbow“ mit seinem Vers:

Und hier „I Got Rhythm“ mit seinem Vers:

Titelplatzierung

Der Titel ist das wichtigste Merkmal eines Songs. Er sollte einladend sein und Lust auf mehr machen. Stell Dir vor, Deine CD liegt auf dem Tisch eines Musikverlags neben 20 anderen CDs. Was glaubst Du, wie viele CDs ähnliche, „08/15“-Titel haben?

Neben der Suche nach einem guten und aus der Menge herausragenden Titel, kann er auch in der Songform häufiger vorkommen.

So kann zum Beispiel bereits der erste Vers mit dem Titel beginnen. Oder damit aufhören. Auch der Chorus kann mit dem Titel beginnen oder damit aufhören. Der Chorus kann auch ausschließlich aus dem Titel bestehen.

Wiederholung hilft, sich den Titel besser einprägen zu können. Allerdings solltest Du nun nicht der Versuchung verfallen, durch übertriebene Wiederholung den Song zu zerstören. Es muss musikalisch passen und Sinn ergeben. Als Maßregel könnte gelten: „Benutze den Titel so oft wie möglich ohne dass es dem Hörer bewusst auffällt“.

Häufige Titelplatzierungen bei vier-zeiligen Chorussen:

Songzeile
Titel
Songzeile
Titel

Oder

Titel
Songzeile
Titel
Songzeile

Oder

Titel
Songzeile
Songzeile
Titel

Häufige Titelplatzierungen bei fünf-zeiligen Chorussen:

Titel
Songzeile
Titel
Songzeile
Titel

Songzeile
Titel
Songzeile
Titel
Titel

Ob Dein Chorus vierzeilig oder fünfzeilig ist, hängt von vielerlei Faktoren ab. Naturgemäß tendieren Songwriter, die sich – im Gegensatz zu Dir – nicht mit der Theorie hinter dem Songwriting auseinandergesetzt haben, dazu, Chorusse und Strophen vierzeilig (achtzeilig, sechzehnzeilig) zu machen. Das ist allerdings nicht immer die beste Möglichkeit, um den Song zu unterstützen.

Zunächst einmal, gilt es bei der Wahl der Zeilenanzahl darum, den Inhalt des Songs zu transportieren oder konterkarrieren. Ein vierzeiliger Vers oder Chorus, deutet auf Reinheit, Klarheit hin und entspricht den Erwartungen der Hörer. Du setzt ihn daher am Besten dann ein, wenn der Chorus/ Vers auch inhaltlich positiv, klar und rein sind. Ein Song über die erfüllte Liebe oder die Schönheit des Lebens kann einen vierzeiligen Vers/ Chorus also durchaus vertragen.

Singst Du jedoch von der unerfüllten Liebe oder der Hässlichkeit des Lebens, so probiere eine ungerade Zeilenzahl aus. Das entspricht nicht den Erwartungen der Hörer und kann so den Unterschied zwischen gutem und sehr gutem Song bedeuten. Diesen Zusammenhang zwischen Wort und Musik nennt man „Prosodie“.

Es lohnt sich immer, ein wenig herumzuspielen und auszuprobieren. Die Beatles haben beispielsweise in vielen ihrer Songs, die im 4/4-Takt geschrieben waren, einfach an der einen oder anderen Stelle einen 2/4-Takt eingefügt, was den Song sehr abwechslungsreich machte und dabei half, ihn aus der Masse der anderen Songs herausstechen zu lassen. Der Laie bemerkt dabei nicht, was anders ist. Er bemerkt nur, dass etwas anders ist.

Die AAA-Songform

Die AAA-Form kann man auch als „Vers-Titel“-Form bezeichnen. Wir wollen in dieser Lerneinheit allerdings nicht nur auf der Makroebene auf den Song schauen (also analysieren, woraus ein „A“ besteht), sondern darauf, wie aus diesen kleinen Makro-Einheiten ein kompletter Song wird. Ein „A“ ist also die Kombination aus einem Vers mit Titel.

Die AAA-Form besteht in aller Regel aus drei Vers-Titel-Kombinationen mit jeweils 16 Takten. Sie enthält keinen Chorus sondern wiederholt immer die gleiche Strophe mit anderem Text. Was gleich bleibt, ist der Titel, der entweder am Anfang eines jeden „A“ steht oder an dessen Ende (oder an beiden Stellen). Sie muss nicht immer aus lediglich drei Versen bestehen, sondern kann auch aus mehreren Versen bestehen (auch wenn drei Verse die am häufigsten vorkommende Anzahl ist).

Die AAA-Form war besonders ab den 1960ern beliebt und ist es bis heute in der amerikanischen Folk-Music. Auch sind viele der Songs der Friedensbewegung der 1970er in der AAA-Form geschrieben.

Einige Beispiele für die AAA-Form:
– We Shall Overcome
– Where Have All the Flowers Gone?
– Blowing in the Wind

AABA Songform

Die AABA-Form ist die AAA-Form bei der nach zwei Vers-Titel-Kombinationen eine Bridge folgt und anschließend nochmals eine Vers-Titel-Kombination erscheint. Die Bridge bildet dabei einen Kontrast zu dem Vers-Titel-Kombinationen. Sie kann den Song auf diese Art und Weise interessanter und abwechslungsreicher machen.

Und sie kann – nicht zu vergessen – dabei helfen, den Song auf die Länge von kommerziellen 3:00 Minuten zu bringen, was eine einigermaßen schnell gespielte AAA-Form nicht schafft. Würde man in so einem Fall eine weitere Vers-Titel-Kombination an die AAA-Form anhängen (also eine AAAA- oder gar eine AAAAA-Form schaffen) so wäre der Song oft endgültig zu langweilig. Wobei auch hier gilt, es gibt nichts, was es nicht schon mal gab und sicherlich lässt sich der eine oder andere Song finden, der aus mehr als drei oder vier Vers-Titel-Kombinationen besteht und trotzdem erfolgreich war.

Einige Beispiele für die AABA-Form:
– Obla-Di, Obla-Da
– I Don’t Know How to Love Him
– Just The Way You Are
– Yesterday

Die AAAB Songform

Möglich, aber sehr selten, ist die AAAB Form, bei der die Bridge ganz am Ende steht. Als besonders kommerziell kann man diese Form nicht wirklich bezeichnen, da sie den neuen Gedanken erst zum Schluss einbringt und den Song so eher weniger einprägsam macht. Aber es ist eben wie immer im Songwriting: Feste Regeln existieren nicht. Und wenn es Deinem Song gut tut, die Bridge am Ende zu haben, so kann genau das der entscheidende Punkt sein, der ihn erfolgreich macht.

Einige Beispiele für die AABA-Form:
– All Alone by the Telephone
– Gigi

Spirituals Songform

Gegründet im Geiste der Freiheit, hatten die Südstaaten der USA diese Werte schnell über Bord geworfen, als es um die Frage der Sklaverei ging. Das florierende Geschäft mit verschleppten Afrikanern auf Baumwollfeldern sorgte für viele Tragödien und ist eines der dunklen Kapitel, der US-amerikanischen Geschichte.

Nur ein tiefer, fester Glauben half den afro-amerikanischen Sklaven, ihr hartes Los in Sklaverei gefangen zu sein und das Menschenrecht der Freiheit nicht in Anspruch nehmen zu dürfen, ertragen zu können.

Spirituals waren die Songs, die sie auf den Baumwollfeldern sangen. Dabei ist die Form immer eine sogenannte „Frage-Antwort“-Form gewesen. Frage-Antwort muss sich aber nicht unbedingt darauf beziehen, dass auch inhaltlich (also in den Lyrics) eine Frage gestellt und eine Antwort darauf gegeben wird, sondern bezeichnet lediglich die Form, in der eine Person „musikalisch etwas in den Raum stellt“ und eine andere Person musikalisch darauf antwortet.

Spirituals grenzen sich insofern von Gospelmusik ab, als dass sie in aller Regel vom alten Testament handeln und sich in aller Regel um die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei der Ägypter handeln (analog zur Sklaverei der Afroamerikaner und ihrer Sehnsucht nach Freiheit). Wohingegen Gospelmusik eher mit dem Neuen Testament befasst ist.

Beispiel:

Sänger: When Israel was in Egypt’s land
ALLE: LET MY PEOPLE GO!
Sänger: Oppressed so hard, they could not stand.
ALLE: LET MY PEOPLE GO!

Oder:

Sänger: I looked over Jordan and what did I see?
ALLE: COMING FOR TO CARRY ME HOME!
Sänger: A band of angels comin‘ after me…
ALLE: COMING FOR TO CARRY ME HOME!

Sofern Du also jemals in die Situation kommst, einen Spiritual zu schreiben, orientiere Dich an einer einzelnen Message/ Linie (siehe oben: „Let my people go“ oder „Coming for to carry me home“) und entwickle dann die Phrasen, die der Vorsänger singt. Diese sind die Fragen.

Die Message/ Linie ist die Antwort. Oft haben Spirituals auch einen Chorus. Auch dieser endet in aller Regel mit der Message/ Linie.

Die Blues Songform

Aus dem Blues und später dem Rhythm-and-Blues (RnB) sollten im Laufe der Jahre Rock’n’Roll, daraus Rock und daraus schließlich Pop entstehen. Wir haben es hier also mit einem der frühen Urahnen der Popmusik zu tun. Und sicherlich hat jeder schon unzählige Male einen Blues gehört und eine sehr genaue Vorstellung davon, was ein Blues ist.

Auch der Blues entstand durch die Misere der afrikanischen Menschen, die in den USA als Sklaven gehalten wurden. Im Gegensatz zu Gospel und Spirituals ist der Blues jedoch nicht religiös motiviert, sondern bezieht sich im Algemeinen auf die Tristesse. Im Englischen bedeutet „blue“ nicht nur „blau“, sondern auch „traurig, niedergeschlagen“.

Der Blues ist außerdem keine Chorsituation, sondern eine One-Man-Show. Eine einzelne Person singt über ihre Probleme im Hier und Jetzt. Der Blues besteht aus 12 Takten und begann damit, dass ein einzelner Satz in aller Regel drei mal wiederholt wurde.

Aus dieser eher eintönigen Form war es nur ein kleiner Schritt zu einer reimenden dritten Zeile, sodass aus der dreimaligen Wiederholung eine zweimalige Wiederholung mit dritter, auflösender Zeile wurde.

Handelten die ersten beiden Zeilen also beispielsweise davon, dass der Sänger kein Geld hatte, so konnte die dritte Zeile in einem Reim auflösen, warum dies so ist.

Songformen im HipHop

Und, neben Spirituals, Gospel, Blues und daraus der Popmusik, nun wieder eine musikalische Gattung, die auf das Konto der Afroamerikaner geht. Der HipHop entstand um die 1980er in den Armen-Siedlungen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Auszeichnendes Merkmal ist der rhythmische Sprechgesang. Es ist also nicht reine Sprache, sondern tatsächlich Gesang, der oft in einem Spektrum von wenigen Noten (und oftmals vielleicht auch unbewusst) stattfindet.

Im HipHop dreht sich alles um den Inhalt. Die Musik (im Sinne der Struktur und der Harmonien) ist eher nebensächlich und besteht häufig aus Samples und kurzen Phrasen, die über die komplette Dauer des Songs wiederholt werden.

Natürlich hat auch der HipHop eine Entwicklung durchlebt und ist durch den kommerziellen Erfolg schnell kommerzialisiert worden. Gattungen wie „Gangsta-Rap“ bewegen sich oft bewusst unter der Gürtellinie, um aufmüpfigen Jugendlichen, die Identifikation zu erleichtern und gegen die herrschenden Gesellschaftskonventionen aufzubegehren.

HipHop mit Sinn und politischer/ intellektueller Message ist allerdings ebenso vorhanden, wie er auch alle anderen Songinhalte thematisieren kann.

Die Form besteht in aller Regel aus 16 Takten Rap. Manchmal rappen mehrere Personen. Abhängig vom Song ist der Chorus auch gerappt. Häufig wird der Chorus aber auch gesungen, was die Abwechslung natürlich umso mehr steigert und für leicht einprägsame Hooklines sorgen kann.

Im Sinne der Kommerzialiät ist es generell ratsam, den Chorus möglichst früh im Song erscheinen zu lassen. So könnte ein Rapsong beispielsweise mit dem Chorus beginnen oder die erste Strophe lediglich aus acht gerappten Takten bestehen, denen dann der Chorus und anschließend 16 Takte Rap folgen.

Techno und moderne Songformen

Techno ist generell auch in 8 bis 16 Takten aufgebaut. Häufig basiert Techno weniger auf einer Unterteilung zwischen Vers und Chorus, sondern hat einen bausteinartigen Charakter. So werden nacheinander mehrere Spuren aufeinander gelegt. Man startet beispielsweise mit einem Bass und einem HiHat, nach 8 Takten stößt ein Synthesizer zu den beiden sich loopenden (= wiederholenden) Spuren und nach und nach immer mehr, bis ein großes Klangbett entstanden ist. Dann folgt meistens eine chorusähnliche Hookline, bevor sich Abwechslung durch das Ab- und Dazuschalten von einzelnen Spuren ergibt.

Abschließend

Songformen unterscheiden sich also in geringem Maße – je nach Stil. Die häufigsten Songformen haben wir hier kennengelernt. Zusätzlich muss erwähnt werden, dass natürlich in allen Stilen die drei Hauptsongformen „Vers-Chorus“, „Vers-PreChorus-Chorus“ und „Vers-Titel“ funktioniert. Sofern Du in einem speziellen Stil schreiben möchtest, ist es immer ratsam, einige Klassiker des jeweiligen Genres zu analyisieren und auf Gemeinsamkeiten zu achten.